Swingkultur in den 30er bis 40er Jahren in Deutschland
Swing- Lindy Hop- Shag-Balboa: ausländisch, körperbetont, erotisch, ausschweifend, lebendig und von jeder Regel abweichend- wie konnten sich diese Tänze und die ihnen immante legere Kultur in Deutschland zu einer Zeit etablieren, in der alles Undeutsche, alles Unkonforme bekämpft, verboten, ausgerottet wurde?
Der widersprüchliche und wenig stringente Umgang der Machthaber mit der Swingkultur wird wohl ein ausschlaggebender Grund gewesen sein. Nicht direktes Verbot der Swingkultur, sondern eine Art Anti-Propaganda, die durch Verunglimpfung der Swingmusik, -tanzstile und -musiker (so wurde beispielsweise Benny Goodman in einer Ausgabe der “Illustrierten” als “Rattenfänger von Neuyork” tituliert) eine “Geschmacksbildung” erzeugen sollte, war ihre Politik. Alle verunglimpfenden Maßnahmen hatten jedoch zur Folge, dass Swing umso populärer wurde und auf die Begeisterung vieler deutscher Zeitgenossen stieß. So erfreute sich die Radiosendereihe “Vom Cakewalk zum Hot”, die 1935 über den Äther lief, um in ausgewählten chronologischen Hörproben die “Artfremdheit” der Swingmusik zu demonstrieren, einer ständig zunehmenden mitswingenden Hörerschar.
Wochenschauen und NS-Propagandafime (wie z.B. “Rund um die Freiheitsstatue” von 1941), die in kurzen Sequenzen original Swingbands und -tänzer aus Harlem zeigten, die Tanzbewegungen jedoch als “Urwalterinnerungen”, als entartete Bewegungen Wilder bezeichneten, zogen Swingbegeisterte magnetisch an. Manche waren so begeistert, dass sie gleich mehrfach in die Lichtspielhäuser zogen, um auch in Deutschland authentische Swingkultur zu erleben. Dem Swing hatten die Nazis einfach nichts entgegenzusetzten. Ihre Versuche, auch den Tanzbereich zu kontrollieren, in dem sie die Bewegungslust in starre Formen gossen, in denen sie sekundenschnell erstarrten, scheiterten. Die deutsche Jugend ließ sich nicht für Eigenkreationen wie den “Deutschländer” oder den “Rheinländer” (s.Abb.) begeistern. Auch ausländische Tänze, die die Nazis durch Etikettenschwindel “heim ins Reich” geholt hatten – aus dem Tango wurde ein Wechselschrittler, der One-Step ein Marsch, blieben verschmäht. Einige Jugendliche ließen sich für die aus England importierten neuen standardisierten Gesellschaftstänze erwärmen. Trotz seiner feindesländischen Abstammung fügte sich der englische Standard, der durch enge Schrittregelmentierung, die stets aufrechte Körper-und Kopfhaltung und der Enterotisierung der Bewegungen charakterisiert, vorzüglich in NS-Vorstellungen ein. Der Wunsch vieler Tanzlustige nach freier Ausübung von Lebendigkeit und Körperlichkeit blieb in solchen Tanzformen unbefriedigt. Swing was the thing.
Als unterhaltende Tanzmusik zunächst “geduldet”, spielten Swingbands, z.T. auch ausländische wie auf der Berliner Olympiade 1936, auf deutschen Bühnen, deutsche Lichtspielhäuser zeigten Musicals aus Hollywood, wie z.B. 1935 Top Hat (“Ich tanz´mich in Dein Herz hinein”) oder 1936 Swing Time, beide mit Fred Astaire und seiner Partnerin Ginger Rogers (s.Abb.), die zwar nicht authentischen Swing transportierten, aber die amerikanische Nationalmusik perfekt besteppten. Authentischer ging es zu bei den amerikanischen Filmmusicals “Broadway Meldody” mit Hot Mama Sophie Tucker und “Swing High- Swing low” (“Mal oben, mal unten”).
Daneben wurden auch deutsche epigonale Musicals gezeigt, wieder mit antipropagandistischen Zielsetzungen, wie das Musical “Traummusik” von 1942. Die Swingbands lieferten die Musik, die Musicals die Bewegungsvorbilder, die Swingtanzwut kannte keine Grenzen mehr. Unverdrossen wurde getanzt, weder die 1938 vorgenommene Zuordnung der Swingmusik zur “entarteten Musik”, noch die Schilder in manchen Tanzsälen “Swing tanzen verboten” konnte die Begeisterung stoppen. Das zu Beginn des Krieges verhängte totale Tanzverbot wurde schon drei Wochen später wieder aufgehoben. Doch zunehmend wurde die Swingkultur den Nazis ein Dorn im Auge. Tanzveranstaltungen wurden aufgelöst- zu sehen in dem Video Swing Kids- , ausländische Swingmusiker verfolgt und besonders eine Bevölkerungsgruppe besonders argwöhnisch und mit wachsendem Abscheu beobachtet : die sogenannten Swing-Heinis. (Wer mehr wissen möchte und auch z.T. deftig-heftiges Vokabular nicht scheut, sei auf das autobiographische Büchlein von Gunter Lust, “The Flat Foot Floogee. Erlebnisse eines Hamburger Swingheinis 1936 bis 1966.” aus dem Dölling und Galitz Verlag, erschienen1992, verwiesen.) Swingheinis, das waren Jugendliche, die sich in kleinen Gruppen organisierten und sich ganz dem Swing hingaben. Ihre am englischem Vorbild orientierte Kleidung und ihr Sprachduktus – so gaben sie sich englische Namen, aus dem Koffergrammophon wurde ein “Hotkoffer” oder eine “Hotmühle” sowie ihre lockere, lottrige, z.T. äußerst ausschweifende Lebensart widersprachen völlig dem nazistischen Bild der deutschen Jugend. Diese Gruppen gab es in verschiedenen Städten Deutschland, ihre Gemeinsamkeit war die Swingkultur, daneben konnten sie unterschiedlich ausgerichtet sein. Manche waren völlig unpolitisch nur an bloßer Ausübung ihrer Lebensart interessiert, andere aber zeigten mehr oder weniger Spuren politischen Widerstands.
So war ein Erkennungszeichen vieler Swingjugendlicher ein ironisierter ausgestreckter Arm begleitet von einer Verballhornung des Hitlergrußes “Swing Heil!”. Dieser “Verwahrlosung der Jugend” musste ein Ende gemacht werden. 1940 verfügte ein Gesetz zum Schutze der Jugend ein Ausgehverbot für Jugendliche, das durch Geheimpolizei und HJ-Abgesandte streng kontrolliert wurde. Ettliche Strafen wurden verhängt, Arbeitseinsatz oder Arrest verfehlten jedoch bei den Swingheinis ihren Zweck, unter ihnen galt es fast als Auszeichnung, derartige Strafen zu erhalten. So berichtet Gunter Lust von einem Spruch, der unter Hamburger Swingheinis die Runde machte, “Bergedorf ist kein Sing-Sing, Bergedorf ist ein Erholungsheim für den Swing” (Lust, S.154). 1941 wurde erneut ein Gesetz erlassen, in dem die Darbietung artfremder, fremdsprachlicher und von Juden komponierter Musik verboten wurde. Einige deutsche Tanzmusikkapellen umgingen das Verbot, indem sie kurzerhand englische Musiktitel durch deutsche ersetzte, so wurde aus “Whispering”, “Mach’s doch ‘mal” , aus “Joseph Joseph”, ” Sie will nicht Blumen und nicht Schokolade”. Kurz vor ihrer endgültigen Niederlage haben sich die Nazis den Swing für Propagandazwecke und als soldatische Durchhaltemusik zu eigen gemacht. Als Deutschland schließlich kapitulierte lebte der Swing weiter, so gab es z. B. im zerstörten Berlin immer noch eine Gruppe Swingtänzer, die sich in einem kleinen Café am Kuhdamm trafen und vor Kälte durch Pappkartons an den Fenstern geschützt swingtanzend versuchten, die Kriegserlebnisse zu vergessen.
(Verfasser: Sabine Schroetter von it-must-schwing.de)